Als "echtes Highlight" kündigte der Vorsitzende des Instituts für Insolvenzrecht Hannover, Dr. Volker Römermann, den Vortrag an. Er sollte Recht behalten: Der Vizepräsident des IX. Zivilsenats des BGH, Dr. Hans Gerhard Ganter, präsentierte am 18. Mai in der Landesbibliothek Hannover ausgewählte, aktuelle Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2006. Das vor allem aus Fachleuten bestehende Publikum lauschte interessiert, war doch ein erheblicher Informationsvorsprung aus dieser Veranstaltung zu gewinnen. Denn der Referent präsentierte zum Teil noch unveröffentlichte Urteile des BGH, das neueste aus dem Mai 2006, also nur wenige Tage alt. Sieben der vorgestellten Entscheidungen sind "zVb", d.h. zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung "BGHZ" vorgesehen. Der besondere Reiz des Referats lag darin, dass der Vortragende als Richter im für das Insolvenzrecht zuständigen BGH-Senat entweder selbst an der Urteilsfindung beteiligt gewesen ist oder zumindest mit den Senatskollegen fachlich darüber diskutieren konnte. Zudem gilt er als anerkannte Größe im deutschen Insolvenzrecht, was er nicht zuletzt als Kommentator der §§ 1-10 sowie §§ 47-52 InsO im maßgeblichen "Münchener Kommentar zum Insolvenzrecht" unter Beweis stellte.
Zur Illustration (auch für die Nichtanwesenden) seien hier zwei referierte Entscheidungen kurz vorgestellt: Das erste, vor allem für Rechtsanwälte interessante Urteil vom 13.04.2006 (IX ZR 158/05) betraf folgenden Fall: Der Beklagte war als Rechtsanwalt seit 2001 für die spätere Insolvenzschuldnerin, eine Gesellschaft, tätig. Am 01.10. hatte er 5.000 DM und am 08.11.2001 hatte er 10.000 DM als Honorar von dieser erhalten. Am 11.11.2001 stellte er den Insolvenzantrag mit der Bitte, diesen bis 12.11.2001 nicht zu bearbeiten, da bis zu diesem Termin eine Kapitaleinlage der Muttergesellschaft der Schuldnerin erwartet werde, welche die Insolvenz abwenden könne. Diese Zahlung blieb aber aus, so dass das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Vor Eröffnung des Verfahrens erhielt der Anwalt am 12.11.2001 noch 35.000 DM in bar zur Abgeltung von Honorarforderungen. Der Insolvenzverwalter verklagte den Rechtsanwalt auf Rückzahlung der erhaltenen Honorare. Bezüglich der ersten beiden Honorare hat der BGH den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zur Klärung von Tatfragen zurückverwiesen. Zum dritten Honorar hat der BGH eine abschließende Entscheidung getroffen. Danach handelt es sich bei Vorleistungen eines Rechtsanwalts, die der inzwischen in der Krise befindliche Mandant mehr als 30 Tage später vergütet, nicht mehr um ein anfechtungsrechtlich privilegiertes Bargeschäft gemäß § 142 InsO. Denn es bestünde in diesem Fall ein Benachteiligungsvorsatz gemäß § 133 Abs. 1 InsO, selbst wenn die Kenntnis von drohender Zahlungsunfähigkeit bloß zu vermuten sei. Ferner entschied der BGH, dass ein Insolvenzantrag bereits mit der Einreichung wirksam gestellt wurde, auch wenn er mit der Bitte eingereicht werde, seine Bearbeitung noch kurzfristig zurückzustellen.
Die zweite Entscheidung, die am 23.03.2006 ergangen ist (IX ZR 116/03), befasst sich mit der Insolvenzfestigkeit einer Vorpfändung (§ 845 ZPO). Der BGH urteilte, dass sich die Anfechtung einer Vorpfändung und einer Hauptpfändung insgesamt nach § 131 InsO richtet, wenn die Hauptpfändung in den von § 131 InsO erfassten Bereich fällt, auch wenn die Vorpfändung früher als drei Monate vor Eingang des Insolvenzantrags ausgebracht wird.
Weitere vorgestellte Entscheidungen betrafen beispielsweise die Einziehung sicherungszedierter Forderungen oder die Insolvenzfestigkeit des gesetzlichen Löschungsanspruchs des nachrangigen Grundschuldgläubigers nach § 1179 a BGB.
Während des über einstündigen Vortrags wurden zahlreiche Fragen des Publikums beantwortet, das die Veranstaltung im Wissen verließ, "etwas für die Praxis mitgenommen zu haben."
Die Vortragsreihe wird am 15.06. 2006 fortgesetzt. Dann referiert Rechtsanwalt Rainer M. Bähr (Hermann Rechtsanwälte) über "Insolvenzverfahren über eine Limited mit Sitz in Deutschland. Allen am Insolvenzrecht Interessierten wird der Besuch ausdrücklich empfohlen!
Philipp Austermann